In der Welt der Pflanzen erzeugen Änderung der Luftfeuchtigkeit Kräfte auf molekularer Ebene welche eine gerichtete makroskopische Bewegung hervorrufen können. Zu beobachten sind solche „Pflanzenmuskeln“ beispielsweise bei den Zapfen von Nadelbäumen, welche sich bei Austrocknung öffnen um ihre Samen freizugeben. Forscher der Montanuniversität konnten nun zeigen, dass mit relativ geringem technischen Aufwand herstellbare poröse Werkstoffe die grundlegenden Funktionsprinzipien solcher natürlichen feuchtegetriebenen Aktuatoren imitieren können.
Forschern des Instituts für Physik der Montanuniversität Leoben zusammen mit der Professur für Biogene Polymere der Technischen Universität München und der Abteilung Biomaterialien des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam ist es gemeinsam gelungen, den pflanzlichen Antrieb von Kiefernzapfen auf ein technisches Material - Silikatglas - zu übertragen. Indem sie die Zapfen mit einem eigens entwickelten „Bio-Templatierungsverfahren“ künstlich versteinerten, erzeugten Sie einen Glaskörper, welcher bei Feuchtigkeitsaufnahme eine kontrollierte Bewegung ausführt. Die Schuppen der versteinerten Zapfen biegen sich bei Benetzung gegen die Schwerkraft aufwärts, und gehen nach der Trocknung wieder zurück in ihre Ausgangsposition. Durch aufwändige strukturelle Untersuchungen, unter anderem an der Großforschungsanlage BESSY II in Berlin, konnte die Hypothese bestätigt werden, dass der Erhalt der inneren Struktur des Kieferzapfens bis auf die kleinste Ebene von Millionstel Millimetern für die beobachtete Bewegung verantwortlich ist. Damit wurde erstmals demonstriert, dass man durch das genaue Abformen einer Pflanzenstruktur auch deren Funktion erhalten kann. Ihre Erkenntnisse veröffentlichten die Forscher im angesehenen Fachjournal „Advanced Materials“.
In einer thematisch eng verwandten Arbeit ist es Forschern vom Institut für Physik in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Chemie der Kunststoffe der Montanuniversität Leoben und dem Institut für anorganische Chemie der Technischen Universität Graz gelungen, einen Mikrobiegebalken herzustellen, welcher sich unter Ausnutzung des oben gefundenen Prinzips kontrolliert durch die Änderung der Luftfeuchte biegen lässt. Dazu wurde ein hochporöser Film aus Silikatglas auf einen kommerziellen Biegebalken, wie er als Sensor in einem Rasterkraftmikroskop verwendet wird, aufgebracht. Bei Zunahme der Luftfeuchte nehmen die nur wenige Nanometer großen Poren im Glas das Wasser auf und die poröse Schicht dehnt sich aufgrund der molekularen Wechselwirkung der Wassermoleküle mit der riesigen inneren Oberfläche des Materials aus. Da sich dabei das fest mit dem Film verbundene Siliziumsubstrat nicht ausdehnt führt dies dazu, dass sich der ganze Balken - ähnlich einem Bimetallstreifen - biegt. Die feuchteabhänige Verbiegung des nur zirka ein zehntel Millimeter langen Biegebalkens konnte sowohl im Rasterkraftmikroskop mittels Lichtzeigermethode quantitativ vermessen als auch theoretisch vorhergesagt werden. Die Eigenschaften solcher Systeme lassen sich insbesondere über die Kontrolle der Nanostruktur wie z.B. Porengröße und -anteil gezielt einstellen, was wiederum Strukturuntersuchungen im Nanometerbereich erfordert, welche im vorliegenden Fall an der Großforschungsanlage ELETTRA in Triest durchgeführt wurden. Solche in „Arrays“ angeordnete miniaturisierten Biegebalken könnten z.B. dazu genutzt werden um komplexe feuchtegesteuerte Schaltoperationen durchführen.
Details zu den Publikationen:
A moisture-driven ceramic bilayer actuator from a biotemplating approach, D. Van Opdenbosch, G. Fritz-Popovski, W. Wagermaier, O. Paris, C. Zollfrank, Advanced Materials 2016 (published online); doi: 10.1002/adma.201600117.
Cantilever bending based on humidity actuated mesoporous silica / silicon bilayers,C. Ganser, G. Fritz-Popovski, R. Morak, P. Sharifi, B. Marmiroli, B. Sartori, H. Amenitsch, T. Griesser, C. Teichert, O. Paris, Beilstein Journal of Nanotechnology 7 (2016) 637-644; doi:10.3762/bjnano.7.56.
Weitere Informationen:
Univ.-Prof. Dr. Oskar Paris
Institut für Physik der Montanuniversität Leoben
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